1929, Siemens & Halske: Ausrüstung des Deutschen Reichstags mit Beschallungsanlagen

Festinstallation einer Lautsprecheranlage im Plenarsaal (2 Blatthaller) und auf der Pressetribüne (3 Protos-Lautsprecher) sowie einer Nachrichtenübermittlungsanlage (ca. 140 Protos-Lautsprecher) in weiteren Räumen und Gängen des Reichstagsgebäudes.

Lautsprecher im Deutschen Reichstag
„Mikrophon, Verstärker und Großlautsprecher haben nun auch ihren Einzug in Deutschlands vornehmstes Gebäude, in den Deutschen Reichstag, gehalten. Zwar sollen Mikrophone und Verstärker nicht dazu dienen, die Reden der Minister und Abgeordneten in die Welt hinauszutragen, und die Lautsprecher etwa dazu, während langweiliger Sitzungen das Forum mit Rundfunkmusik zu unterhalten, sondern allein dem praktischen Zweck, die Stimme der Redner zu schonen und trotzdem die Rede im ganzen Hause vernehmbarer zu machen als bisher.

Auf Grund der Erfahrungen, die man mit derartigen Verstärkeranlagen in großen Sälen oder bei Übertragungen von Kurmusiken und Ansprachen auf freiem Felde gemacht hat, sind drei große Flächenlautsprecher über der Rednertribüne und an den beiden Seitenwänden des großen Sitzungssaales angebracht worden. Verschiedene Mikrophone fanden auf dem Platz des Präsidenten, des Sprechers und der Rednertribüne Aufstellung. Die Verstärkeranlage, mit der die einzelnen Mikrophone wahlweise eingeschaltet werden können, und die es gestattet, die Lautstärke zu regulieren, befindet sich zur rechten Hand des Präsidententisches; durch einen Schaltgriff ist die Anlage zu bedienen.

Künftig wird also der Präsident die Möglichkeit haben, bei Tumulten die Stimme des Redners derart zu verstärken, daß sie vielleicht alles übertönt und jedes Wort auch im entlegensten Winkel des Saales zu verstehen sein wird.

Das Wesentliche der Einrichtung selbst, die erst in diesen Tagen fertiggestellt worden ist, wird aus den Abbildungen deutlich, auf denen links drei Mikrophone und an der Rückwand der große Falzlautsprecher zu erkennen ist, während das zweite Bild den Tisch des Präsidenten mit der fast unscheinbaren Verstärkeranlage zeigt.

Dies immer tiefere Eindringen der Technik in unser Leben, diese immer stärkere Dienstbarmachung aller technischen Errungenschaften erlaubt ungeahnte Perspektiven. Erst vor wenigen Wochen hatte eine Wiener Zeitschrift die Karikatur eines zukünftigen Parlamentssaals gebracht, bei dem nur Präsidententisch und Ministerbänke besetzt waren, während sich die Abgeordneten durch Lautsprecher vertreten ließen, die sie vom sicheren Port ihres häuslichen Schreibtisches besprechen konnten. Noch fassen wir die Karikatur als eine scherzhafte Vorausahnung auf, doch wer weiß, ob sie nicht noch einmal Wirklichkeit werden wird!“ [anonym in: Funk 5 1929, 19]

Lautsprecheranlagen in Parlamenten
„Bei Parlamentsverhandlungen muß jeder der anwesenden Abgeordneten mühelos den Reden zu folgen vermögen; denn nur dann kann er sich ein klares Bild von den zur Beratung stehenden Dingen machen. Das ist aber bei ungünstigen akustischen Verhältnissen, bei zu leisem Reden oder wenn im Eifer oder in der Erregung eine allgemeine Unruhe entsteht, nicht immer ganz leicht. Angesichts dieser Schwierigkeiten lag es nahe, Lautsprecheranlagen für die Sprachverstärkung zu Hilfe zu nehmen. Denn die Verwendung von Lautsprechern gestattet neben einer kräftigen Lautverstärkung auch die Wiedergabe an solchen Stellen der Plenarsäle, die infolge akustischer Verhältnisse im Klangschatten liegen.
Da die Plenarsäle der Parlamente auch häufig für Feierlichkeiten benutzt werden, können derartige Lautsprecheranlagen dann auch dem Zweck der Musikübertragung dienstbar gemacht werden.

Neben der Verwendung im Plenarsaal können Lautsprecheranlagen auch zur Nachrichtenverbreitung im Parlamentsgebäude benutzt werden. Denn auch die während einer Sitzung nicht im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten sollen über alle wichtigen Vorgänge unterrichtet bleiben. Dazu reichen dann gewöhnliche Signale, wie man sie mit Glocken oder Lichttablos geben könnte, nicht aus, da die zu übermittelnden Nachrichten zu verschiedenartig sind, als daß sie durch ein starres Signalsystem erfaßt werden könnten. [Siemens-Archiv, SH 3625, 3]

Die 14seitige Siemens-Werbebroschüre, aus der diese Einleitung stammt, beschreibt auf den Seiten 7-14 unter „Ausgeführte Lautsprecheranlagen in Parlamenten“ die von Siemens & Halske installierten Beschallungssysteme

  • im Deutschen Reichstag
  • im Preußischen Landtag
  • im Berliner Rathaus.

„Grundsätzlich sind natürlich am Rednerpult Mikrofone vorgesehen, ebenso am Tisch des Präsidenten, da von diesen Plätzen am meisten gesprochen wird. Im Reichstag sind außerdem auf dem Regierungstisch am Sitz des Reichskanzlers und auf den Plätzen der Sekretäre Mikrofone aufgestellt […].

Den Anforderungen der Klangverstärkung und Verbesserung der akustischen Verhältnisse entsprechend, sind im Reichstag an dem Rednerpult und am Tisch des Präsidenten je zwei Mikrofone angeordnet, die in Parallelschaltung auf die Verstärkereinrichtung einwirken. […]

Um nur die Worte des Redners, dem gerade das Wort erteilt ist, verstärkt wiedergeben zu können, ist besonders bei Parlamentsanlagen eine sogenannte Zuteilungsapparatur, die in eine Schalttafel eingebaut wird, vorgesehen. Hier wird gleichzeitig mit der Worterteilung das Mikrofon oder Mikrofonpaar am Platz des Redners eingeschaltet. Durch einen besonderen Schalthebel kann die Lautstärke je nach Erfordernis geregelt werden. Ob sein Mikrofon eingeschaltet ist, erkennt der Redner an einer Signallampe, die sich am Mikrofon befindet. Auf die gleiche Weise kann auf der Schalttafel ersichtlich gemacht werden, daß die Einschaltung vollzogen ist.

Von dieser Lichtanzeige ist im Reichstag und bei der Magistratsanlage Gebrauch gemacht. Im Reichstag und im Landtag ist die Zuteilungsapparatur am Tisch des Präsidenten (an der rechten Seite) angebracht. […]

Die Lautsprecher bei diesen drei Anlagen sind den örtlichen Bedingungen entsprechend verschieden angeordnet. So befinden sich im Reichstag z. B. an der dem Plenum gegenüberliegenden Längswand in halber Höhe rechts und links vom Präsidententisch zwei Blatthaller, die das Plenum durch ihre Klangstärke völlig beherrschen.

Auf der Pressetribüne des Reichstags sind drei Protos-Lautsprecher angebracht, damit auch die hier Anwesenden jedes Wort klar und deutlich hören können. Außerdem befinden sich noch Protos-Lautsprecher am Platz des Präsidenten, der ganz besonders genau allen Reden folgen muß, um die Verhandlungen überwachen und leiten zu können. […]

Im Reichstag und im Landtag sind in den abseits gelegenen Verstärkerräumen noch je ein Protos-Lautsprecher angeordnet, damit das Bedienungspersonal jederzeit das ordnungsgemäße Arbeiten der Anlage überwachen kann. […]

Im Reichstag ist noch eine zweite Lautsprecheranlage vorhanden, die zur Nachrichtenübermittlung nach anderen Räumen dient. Neben der Eingangstür zum Plenarsaal ist eine Sprechzelle aufgestellt, die ein Bändchenmikrofon enthält. Hier werden auf Veranlassung des Präsidenten Nachrichten bekanntgegeben und mittels einer großen Zahl (etwa 140) von Protos-Lautsprechern verbreitet. Diese sind in den Wandelgängen, in der Bibliothek, im Restaurant, in den Fraktions- und Arbeitszimmern verteilt, so daß allen sich hier aufhaltenden Abgeordneten die Bekanntmachungen klar verständlich übermittelt werden können.“ [Siemens-Archiv, SH 3625, 7-14]