Frühe elektroakustische Massen-Adressierungen in den USA

Nach dem Ersten Weltkrieg stehen dann die nötigen Bestandteile für elektroakustische Massenbeschallungsanlagen in kompatibler Form auch für nichtmilitärische Forschungs- und schließlich Einsatzzwecke zur Verfügung. Auf Basis dieser modernen Technik entwickelt die Erfindergemeinschaft Tri-Ergon, neben ihrem Lichttonverfahren, funktionierende Aufnahme- und Wiedergabeapparaturen, die schließlich die erfolgreiche Tonfilmpremiere am 17.9.1922 in Berlin ermöglichen.[1]

Bereits drei Jahre zuvor allerdings feiern in den USA gleich zwei unabhängig voneinander entwickelte Beschallungsanlagen ihren Premieren-Einsatz – und nicht auf Tonfilm gespeicherte, im Kino dargebotene Klänge, sondern das live gesprochene Wort, adressiert an ein zigtausendköpfiges, unter freiem Himmel versammeltes Publikum, bildet die medial zu übermittelnde Botschaft dieser Public-Address-Anlagen.

Mitte 1919 ist es zunächst der Elektrokonzern Western Electric, der mit einer "Spectacular Demonstration of Radiotelephony" seine elektrotechnische Kompetenz einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und durch eine komplexe Verschränkung von kabelgebundener Fernmeldetechnik, gerade im Kriegseinsatz erprobter Funktechnik und modernster niederfrequenter Röhrenverstärkertechnik neue zivile Nutzungsmöglichkeiten offeriert.[2] Für den Victory Liberty Loan, ein offenbar tourneeartig organisierter und in New York City dann drei Wochen lang medial inszenierter Spendenaufruf zur Beseitigung wirtschaftlicher Folgeschäden des Weltkriegs, installiert Western Electric eine Großbeschallungsanlage bestehend aus Röhrenverstärkern mit ca. "100 H. P. of energy" und 112 über der Park Avenue aufgehängter "loud-speaking telephones provided with large horns".[3] Gespeist wird diese Anlage mit musikalischen Signalen und mit Sprechströmen der vor Ort per Mikrofon abgenommenen Ansprachen sowie einiger telefonisch aus Washington und auch mittels Funktechnik aus einem Flugzeug übertragenen Reden, "and in this way thousands of people could hear the voice at the same time".[4]

Wenige Monate nach diesem modernen Mirakel Western Electrics gelingt einer erheblich kleineren amerikanischen Firma, der Magnavox Company, ein elektrotechnisch überschaubarerer, in politischer Hinsicht größerer Erfolg. Für den us-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der am 19.9.1919 im Rahmen seiner League of Nations-Werbetour nach San Diego kommt, erbauen die Magnavox-Gründer Peter Laurits Jensen und Edwin Stewart Pridham im dortigen Stadion eine Beschallungsanlage, die es einem Präsidenten der USA erstmals ermöglicht, eine knapp einstündige Rede an angeblich ca. 50000 versammelte Menschen verständlich zu adressieren, sieht man von einigen Beeinträchtigun­gen der Sprachverständlichkeit für einen Teil des Auditoriums ab.[5] Realisiert wird die vox magna des Präsidenten durch zwei Mikrofone mit trichterförmigen Schallfängern, durch einen bei Magnavox entwickelten dreistufigen Röhrenverstärker und durch lediglich zwei Lautsprecher, montiert auf dem Glasbau, der für Wilson zum Schutz seiner angeschlagenen Gesundheit innerhalb des Stadions errichtet worden war.

Zu verdanken ist dieser Achtungserfolg vor allem dem verwendeten Lautsprecherantriebssystem. Während Western Electric 112 elektromagnetisch arbeitende Schalldosen – im Grunde größer dimensionierte Telefonhörer – mit vorgesetzten Trichtern über dem zu beschallenden Victory Way verteilt aufhängen musste, um mit diesen leistungsschwachen Schallwandlern in Addition eine befriedigende Lautstärke zu erreichen, genügt den beiden Magnavox-Gründern die Schalleistung von zwei elektrodynamisch angetriebenen Lautsprechern, um das gesamte Stadion in San Diego von einem Punkt aus zu beschallen. Bereits seit 1911 hatten sich Jensen und Pridham mit der Verbesserung von Schallwandlern beschäftigt und, vermutlich angeregt durch das britische Patent Nr. 9712 von Sir Oliver Lodge (1898), auf die Weiterentwicklung elektrodynamischer Wandler konzentriert. Ergebnisse waren zum Beispiel ein 1912 in Österreich eingereichtes Patent über ein elektrodynamisches Telefon und ein 1916 in den USA angemeldeter "Sound-Magnifying Phonograph" mit integriertem elektrodynamischem Lautsprecher, der es ermögliche, "any desired volume of sound" zu erzielen und der ausreiche, um große Hallen, Auditorien und Amphitheater zu beschallen.[6] Beide Patente werden noch für die Commercial Wireless & Development Co. eingereicht, die Umbenennung in Magnavox Co. erfolgt 1917, mit der die Spezialisierung auf den Bereich Audiotechnik auch namentlich vollzogen wird.

Trotz der forschenden Vorarbeiten und des daraus resultierenden Erfolgs wird Magnavox nach 1919 nicht Fuß fassen in dem nun eröffneten Marktsegment Massenbeschallungsanlagen, sondern sich auf den ebenfalls gerade entstehenden Consumer-Bereich der Unterhaltungselektronik konzentrieren, um sich in den 20er Jahren dann unter anderem mit ihren Radiolautsprechern auch in Europa einen Namen zu machen. Das medienpolitisch wie elektroakustisch bedeutsame Ereignis von 1919, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten erstmals eine seiner Stellung gemäße Stimmgewalt zu verleihen, wird Magnavox vor allem nutzen, um ihre Radiolautsprecher zu bewerben.[7]

1 Zu den erschwerten Forschungsbedingungen in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg, die die Leistungen bei Tri-Ergon noch aufwerten, siehe exemplarisch Trendelenburg 1975: 47f.
2 Anonym 1919.
3 Secor 1920.
4 Secor 1920. Eine der über Kabel der AT&T aus Washington übertragenen Stimmen stammte von Franklin D. Roosevelt, der über eine telefonische Rückleitung seinerseits "other speeches, music and applause from the audience in New York" hören konnte (Anonym 1919).
5 Shepherd 1986; laut Shepherd berichteten einige Zeitungen von diesen Störungen bzw. von der resultierenden Unzufriedenheit mancher Zuhörer wohl vor allem im nördlichen Teil des Stadions. Pridham, damals vor Ort, um das Funktionieren des Systems persönlich sicherzustellen, rehabilitierte später seine Geräte, indem er die Ursache für die aufgetretenen Störungen im Glashaus fand: "The echoing of the voice vibrations from the glass sides had produced this effect. It was a long time before a solution was found for this trouble and that solution was – never to have any surfaces near the microphone that would permit echoes. Today every studio is so designed so as to minimize echo but not to completely eliminate it." Pridham, unveröffentlichtes Manuskript, 1947, zit. nach Shepherd 1986.
6 Patentschriften AT 61706 (21.11.1912) und US 1329928 (3.7.1916).
7 Siehe reproduzierte Werbeanzeige in Douglas 1989: 132.