1924, Siemens & Halske: elektroakustisch verstärkte Rede des Erzbischofs zur Kölner Glockenweihe

Mit modernster Beschallungstechnik von Siemens & Halske wird die Rede des Erzbischofs Dr. Schulte zur Weihe der Domglocke ‚Dicker Pitter‘ auf dem Kölner Domplatz elektroakustisch verstärkt. Ein elektrodynamischer Siemens-Bandlautsprecher mit aufgesetztem Trichter sorgt für die Beschallung der vielleicht 20000 Zuhörer, ein elektrodynamisches Bändchenmikrophon, das auch in Senderäumen des deutschen Rundfunks eingesetzt wird, liefert die Sprechströme.

Glockenguß 5.5.1923
Am 12. März 1922 wurde die „neue Deutsche Glocke am Rhein“ bei den Glockengießern Gebr. Ulrich in Apolda in Thüringen in Auftrag gegeben und am 5. Mai 1923 gegossen:

„Nach mancherlei, oft das ganze Werk gefährdenden Hemmungen kam endlich wie ein Blitz die telegraphische Nachricht aus Apolda: ‚Glockenguß Domglocke Sonnabend (5. Mai 1923) 9½ Uhr stattgefunden und vorzüglich gelungen.‘ […]“ [Stadt-Anzeiger 13.11.1924]

Glockenweihe 30.11.1924

„Die Glockenweihe erfolgt am nächsten Sonntag in der Zeit von 10 bis 11 Uhr. Die Ansprache des Kardinals durch Lautsprecher wird auf dem ganzen Domplatz vernehmbar sein. […]“ [Stadt-Anzeiger 28.11.1924]

Berichterstattung nach der Glockenweihe in den Kölner Zeitungen

„Die den Weihezeremonien sich anschließende Rede des Kardinals, durch einen Lautsprecher übertragen, war weithin verständlich und selbst an der äußersten Linie des Zuhörerkreises, weit in die Burgmauer hinein, vernehmbar, zum Teil sogar hier noch verständlich.
Zur Aufnahme der Ansprache diente das Siemens-Bändchen-Mikrophon, das sich links neben dem Erzbischof befand. (Das Bändchen-Mikrophon ist auf den meisten deutschen Rundfunk-Sendstationen wegen seiner Sprachgüte in Verwendung). Über den Apparat teilt man uns mit: In einem starken Magnetfeld befindet sich ein dünnes Aluminium-Bändchen, das unter dem Einfluß der Schallwellen schwingt und in dem beim Schneiden der elektromagnetischen Kraftlinien Ströme entstehen. Diese Ströme werden mehrere 1000 mal verstärkt (durch die Siemens-Oxyd-Kathoden-Röhren) und dann dem Lautsprecher zugeleitet. Der Lautsprecher arbeitet nach dem umgekehrten Prinzip des Mikrophons: In einem starken Magnetfeld befindet sich wiederum ein Aluminiumband (Stärke 7/1000 Millimeter), durch das die verstärkten Sprechströme fließen. Hierdurch schwingt das Bändchen in dem Magnetfeld und setzt die vor ihm befindliche Luftsäule in Schwingung, im Rhythmus der Sprache. Die Apparatur ist zur Ansprache an große Volksmassen bestimmt, und wurde zuerst in Berlin am Dönhoffplatz vorgeführt. Die Reichweite beträgt etwa 800 Meter. Der Apparat wurde im Zentral-Laboratorium, im Wernerwerk der Siemens u. Halske A.-G. entwickelt. […]“ [Stadt-Anzeiger 1.12.1924]

Ein Foto im [Stadt-Anzeiger 4.12.1924] zeigt den in der dortigen Bildunterschrift als „Schallfänger des Lautsprechers“ bezeichneten Apparat, der seitlich (vom Betrachter aus gesehen) links neben dem Kardinal aufgestellt war und wohl aus dem Bändchenmikrophon und einem vielleicht hölzernen Kastenumbau bestand (aufgrund der inzwischen schlechten Qualität läßt sich dies nur erahnen). Dieser wird in der Kölnischen Volkszeitung als „ein manngroßer Apparat zum Auffangen der Ansprache“ beschrieben:

„Der weite Domplatz und die angrenzenden Straßen waren schwarz von Menschen. Es mögen dort über 20000 Personen versammelt gewesen sein. […]
Der Lautverstärker, der gestern in Köln im Freien zum ersten Mal verwandt wurde, war ein Lautsprecher Firma Siemens & Halske A.-G. (Berlin). Auf der Balustrade vor der Glocke stand während der Rede des Herrn Kardinals rechts ein manngroßer Apparat zum Auffangen der Ansprache. Das Publikum in der Nähe des hohen Redners hörte deutlich ein starkes Mittönen aus dem Apparat, das Zeichen der innigen Kontaktherstellung. Aus dem Apparat wurde die Stimme durch verstärkten Draht zur Höhe auf die Galerie des Domes geleitet und hier durch einen großen Schalltrichter weitergegeben. Bei den üblichen Fernsprechapparaten und Lautsprechern entstehen die Sprachtöne dadurch, daß eine vor den Polen eines Magnets liegende Eisenmembrane in Schwingungen gerät, wenn sich der Magnetismus des Magneten unter dem Einfluß der von dem Mikrophon kommenden Sprachströme ändert. Diese Art der Tonerzeugung durch eine feste Metallplatte ist nicht vollkommen, weil die Platte stets eine bestimmte eigene Schwingung hat, und deshalb Töne, die diese Schwingung haben oder eine Schwingung, die in einem einfachen Verhältnis dazu steht, gut wiedergibt, während sie andere unterdrückt.
Bei dem gestern verwandten Siemens-Bandlautsprecher, der im Zentrallaboratorium des Wernerwerkes von Siemens & Halske entwickelt worden ist, ist an die Stelle der festen Membrane ein leichtes Aluminium getreten, das in einem großen Bandsprecher zehn Zentimeter lang, ein Zentimeter breit und ein Hundertstel Millimeter dick ist. Dieses Band ist im Felde eines starken Elektromagneten ausgespannt und wird von den Sprachströmen durchflossen. Unter der Einwirkung dieser Ströme macht es Bewegungen, die sich der Umgegend laut mitteilen und als Sprachtöne gehört werden. Dem Bandsprecher ähnelt in seinem Aufbau das Bandmikrophon. Auch hier befindet sich ein Aluminiumbändchen in einem Magnetfeld. Wird es von den Luftwellen der Sprachtöne getroffen, so bewegt es sich, und in dem Leitungskreise, in dem es liegt, entstehen dadurch schwache Ströme. Diese werden mit Hilfe neuzeitiger Verstärkereinrichtungen so weit verstärkt, daß sie, dem Bandsprecher zugeführt, dessen Band in ausreichend starke Schwingungen versetzt.
Was den gestern benutzten Siemens-Bandsprecher besonders auszeichnet, ist neben der lauten und weitreichenden Sprache besonders die klare, reine und verzerrungsfreie Sprachwiedergabe. Auf dem gesamten Domplatz und in den angrenzenden Straßen konnte durch diese Neuerung die Rede des Herrn Kardinals durch viele Tausende mitgehört werden.“ [Kölnische Volkszeitung 1.12.1924]

Karl-Heinz Göttert weist darauf hin, daß sich der eigenartigen Symbolik der Situation (Glocke – Lautsprecher) offenbar niemand bewußt gewesen sei [Göttert 1998]. Bemerkenswert ist auch, in welch nüchterner Art die Zeitungsredakteure Bericht erstatten, indem sie weitgehend den technischen Vorgaben von Siemens & Halske folgen und lapidar den Erfolg der Sprachverstärkung feststellen – immerhin wird es für den weitaus größten Teil der Zuschauer bzw. Zuhörer und auch für die Autoren, falls die Artikel nicht komplett aus der Feder eines Siemens-Mitarbeiters stammen, das erstemal gewesen sein, daß sie eine elektroakustische Massenbeschallung erlebten.